Was ist Energie?
Ich habe keine Ahnung!
Eine vermeintlich einfache Frage mit einer komplizierten Annäherung.
Schon lange arbeite ich als Dozent für Thermodynamik und bin oft froh, dass die Studierenden mir statt der
komplizierten nie die vermeintlich einfache Frage stellen: Was ist eigentlich Energie? Die Studierenden fragen das nicht, weil wir alle im Alltag so oft über Energie reden, dass sie uns vertraut scheint: Energie treibt das Auto an, lässt das Licht leuchten, soll gespart werden… Wenn Sie das heimatstark Magazin schon lange lesen, wissen Sie aus meiner ersten Kolumne, dass es sich bei diesen Energieformen um Arbeitsfähigkeit handelt. Es gibt aber auch Energie, die man nicht nutzen kann, zum Beispiel die Bewegungsenergie der Moleküle. Selbst in einem kalten Gegenstand bewegen sich Teilchen und damit steckt Energie in ihm, die wir aber nicht nutzen können, um ein Gewicht zu heben oder elektrischen Strom bereitzustellen.
Der Klotzerhaltungssatz
Wenn Energie also nicht die Fähigkeit ist, Arbeit zu verrichten, was ist sie dann? Und warum sträube ich mich normalerweise dagegen, den Begriff zu erklären, obwohl der Energieerhaltungssatz in der Physik doch so wichtig ist? Stellen Sie sich vor, dass Sie Ihrem Kind 35 identische Bauklötze geschenkt haben
und nach einer Weile der Beobachtung den „Klotzerhaltungssatz“ aufstellen: „Egal was das Kind baut: Im Kinderzimmer befinden sich stets 35 Klötze.“
Eines Tages finden Sie aber nur 33 Klötze vor. Erst am Abend entdecken Sie die zwei vermissten Klötze im Garten unter dem Kinderzimmerfenster. Sie modifizieren also das Gesetz: „Die Anzahl der Klötze beträgt stets 35, solange das Fenster zu ist.“
Aber trotz geschlossener Fenster sind es am nächsten Tag nur 32 Klötze. Als kluges Elternteil haben Sie schnell die kleine Schatzkiste im Verdacht, für deren Zahlenschloss aber nur Ihr Kind den Code kennt. Für Sie kein Problem. Sie wiegen die Kiste und stellen fest, dass diese 150 g schwerer ist als sonst. Sofort ist Ihnen klar, dass sich hier die drei Klötze, von denen jeder 50 g wiegt, befinden. Sie passen Ihr Gesetz also an: „Anzahl der Klötze + Zusatzgewicht der Schatzkiste geteilt durch 50 g = 35, solange das Fenster zu ist.“ Als das nächste Mal Klötze fehlen, brauchen Sie etwas länger, bis Sie daraufS chon lange arbeite ich als Dozent für Thermodynamik und bin oft froh, dass die Studierenden mir statt der komplizierten nie die vermeintlich einfache Frage stellen: Was ist eigentlich Energie? Die Studierenden fragen das nicht, weil wir alle im Alltag so oft über Energie reden, dass sie uns vertraut scheint: Energie treibt das Auto an, lässt das Licht leuchten, soll gespart werden … Wenn Sie dieses Magazin schon lange lesen, wissen Sie aus meiner ersten kommen, dass Ihr Kind diese im Aquarium versenkt hat. Nach einigen Experimenten finden Sie heraus, dass jeder versenkte Klotz die Wasseroberfläche des Aquariums um 1 mm steigen lässt. Also lautet Ihr Gesetz nun: „Anzahl der Klötze + Zusatzgewicht der Schatzkiste geteilt durch 50 g + Anstieg des Wassers im Aquarium (in mm) = 35, solange das Fenster zu ist.“ Und so wird Ihr Gesetz immer komplexer und beschreibt irgendwann alle Stellen, an denen sich Klötze verbergen können.
Genau das macht auch der Energieerhaltungssatz: Er sagt, dass die Energie in einem abgeschlossenen System („Fenster zu“!) nicht mehr oder weniger wird, sofern man alle Stellen berücksichtigt, an denen sie sich verstecken kann. Der große Unterschied zum Klotzerhaltungssatz ist, dass es Energie nie in Reinform gibt: Es gibt – um in unserem Bild zu bleiben – keine Bauklötze. Es gibt nur die Gewichtszunahme der Schatzkiste, den Anstieg im Aquarium und andere Veränderungen, die sich aus versteckten Klötzen ergeben
Reine Energie gibt es nicht
Und wo versteckt sich Energie ganz konkret? In bewegten Körpern (kinetische Energie), in Körpern weit oben (potenzielle Energie), in Molekularbewegung (thermische Energie) oder in der bloßen Existenz von Materie (Albert lässt grüßen: E = mc²). Reine Energie bekommen wir aber nie zu sehen. Sie bleibt abstrakt und niemand weiß, was sie ist. Trotzdem hat sie einen praktischen Nutzen, weil sie uns erlaubt, andere Größen, die wir besser begreifen können (Geschwindigkeit, Höhe …), zu berechnen, indem wir ein Energieversteck in ein anderes umrechnen.
Müssen wir also unbedingt wissen, was Energie ist? Nein. Nutzen können wir sie dennoch, um eine Menge Probleme zu lösen.