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Unterwegs in die Unabhängigkeit

Ein Bündnis aus Unternehmen, Kommunen und Institutionen verfolgt einen ehrgeizigen Plan: Das Allgäu soll in den kommenden acht Jahren klimaneutral werden. Wie es zu der Allianz aus Politik und Wirtschaft kam – und warum das Ziel gar nicht so unrealistisch ist, wie es sich anhört.

Die ersten Monate des Jahres 2022 dürften als Phase tiefgreifender Veränderungen in die Geschichte eingehen. Denn genauso nachhaltig wie die europäische Sicherheitsarchitektur ändert sich gegenwärtig der ökologische Diskurs. Nie zuvor war der politische Wille größer, unabhängig von fossiler Energie zu werden, als in diesen Tagen. Um die Umsetzung wird indes gerungen: mehr Windkraft? Mehr Solarenergie? Sogar die Wiederkehr der längst besiegt geglaubten Atomkraft steht im Raum.
Während die Bundespolitik mit Lobbyisten und einer zunehmend frustrierten Öffentlichkeit um den richtigen Weg streitet, zeigt eine Initiative im Allgäu, wie es auch gehen kann. Das „Bündnis klimaneutrales Allgäu 2030“ hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Energiewende in die eigenen Hände zu nehmen und Unternehmen im Allgäu bis 2030 in die Klimaneutralität zu begleiten.

Ja mehr noch, das ganze Allgäu klimaneutral zu machen und als Vorreiterregion in Sachen Energiewende zu positionieren. Eine Mammutaufgabe, doch erste Erfolge sind sichtbar. 100 Mitglieder umfasst das Bündnis inzwischen, etwa 30 davon sind bereits klimaneutral. Doch zurück zu den Anfängen, zurück ins Jahr 2019. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hatte der Polit-Elite auf dem UN-Klimagipfel gerade ihr wütendes „How dare you?“ entgegengeschleudert, Millionen junger Menschen weltweit gingen Woche für Woche für das Klima auf die Straße, das Jahr sollte das drittwärmste der Geschichte werden. Gleichzeitig verabschiedeten sich die USA aus dem Pariser Klimaabkommen. Der Frust der globalen Ökologiebewegung war riesig. In dieser Situation trafen sich der damalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und sein Parteikollege Thomas Kiechle, Oberbürgermeister der Stadt Kempten. Es ging in dem Gespräch auch um die „Allianz für Entwicklung und Klima“, eine Initiative auf Bundesebene mit dem Ziel, Unterstützer aus Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammenzubringen und gemeinsam Treibhausgasemissionen zu vermeiden, zu reduzieren und zu kompensieren.

Was auf Bundesebene funktioniert, klappt auch regional

Kiechle beschreibt das Treffen als Initialzündung für eine verwegene Idee: „Was auf Bundesebene möglich ist, müsste auch regional funktionieren – vielleicht sogar besser.“ Kiechle ging auf die eza! (Energie- und Umweltzentrum Allgäu) zu und rannte dort offene Türen ein. „Wir haben auch gesehen, dass das, was getan wird, nicht ausreicht, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen“, beschreibt Martin Sambale, Geschäftsführer der eza!, die Gefühlslage. Der bundespolitischen Lethargie wollten die beiden Männer mit lokalpolitischem Engagement begegnen. Als Erstes wurde auf dem Reißbrett ein transparenter Prozess entwickelt. Der Weg zur Klimaneutralität sollte für die Bündnispartner aus einem Dreisprung bestehen: Analyse, Reduktion und Kompensation. Mit der eza! als fachkundigem Reisebegleiter. Die Roadmap ist dabei für alle gleich, sie beginnt mit einer Unterschrift.

„Man schließt einen Dienstleistungsvertrag mit der eza! ab“, sagt Sambale. In dieser sogenannten Mitmacherklärung verpflichtet sich jeder Bündnispartner, den eigenen CO2 -Fußabdruck um zehn Prozent zu senken – jährlich, versteht sich. Dann geht es an die Analyse. „Mithilfe unserer Experten wird untersucht, wo das Unternehmen in Sachen Energieverbrauch steht“, sagt Sambale. „Wir ermitteln mit einem Fragebogen, wo die Schwerpunkte bei den Emissionen sind.“ Mit diesem Wissen gehen die Ingenieure der eza! zur Impulsberatung in das Unternehmen. Im Mittelpunkt steht die Frage, „wie es für das Unternehmen möglich ist, den Verbrauch massiv zu senken, wegzukommen von fossilen Energien und langfristig auf erneuerbare zu setzen“, fasst Sambale zusammen. Mit anderen Worten: an welchen Stellschrauben gedreht werden muss.

Nachhaltigkeit ist auch ein Argument für den Tourismus

Natürlich ist auch die Stadt Kempten Teil des Bündnisses, „das versteht sich doch von selbst“ (Kiechle). Seine Kommune ist nach Ulm die zweite Stadt in Deutschland, die sich der „Allianz für Entwicklung und Klima“ anschloss und es geschafft hat, klimaneutral zu werden. Das strahlt auf die Kommune aus, aber auch auf die Region. Schließlich ist das Allgäu eine der beliebtesten Urlaubsregionen Deutschlands. Und im Wettstreit der Destinationen spielt der Umweltaspekt eine immer größere Rolle. Das wissen auch die Hoteliers und Ferienwohnungsbetreiber. Die Gäste des Panoramahotels Oberjoch suchen meist nach zwei Dingen: nach Entspannung in der Natur – oder nach Erholung im Wellnessbereich. Wobei es die Muße in der Natur gratis gibt, für die Ruhe im Spa-Bereich muss einiges an Energie aufgewendet werden. Isabell-Marie Lerch ist kaufmännische Leiterin der Lerch Genusswelten, zu denen neben dem Panoramahotel Oberjoch weitere Hotels und Chalets in Oberschwaben und dem Oberallgäu gehören – gehobenes Segment. „Das Thema Umwelt und Klimawandel betrifft uns doch alle, es ist eines der wichtigsten Themen“, sagt Lerch. „Wir verkaufen Wellness und Luxus und wollen trotzdem auf den Energieverbrauch achten. Zugleich soll der Pool aber warm sein.“

Mit der Panoramahotel Oberjoch GmbH ist Lerch im Juli 2021 dem Klimabündnis beigetreten. Beim Spagat zwischen Nachhaltigkeit und Luxus sei das Bündnis sehr hilfreich, sagt sie. Die größten Verbräuche habe man im Bereich Elektrik und Heizung gemessen. Dadurch, dass ihre Hotels ziemlich neu seien, sei das Ergebnis überraschend positiv ausgefallen – wobei die Kennzahlen aufgrund der Corona-Monate unter Vorbehalt zu betrachten seien. Nach der Umstellung auf Ökostrom in diesem Jahr soll nun eine große Photovoltaik-Anlage auf dem Dach installiert werden. Von dem Engagement, sagt Lerch, profitieren alle Seiten: Hotelbetreiber, Gäste und die Umwelt. „Wir sind mit unseren Hotels inmitten der schönsten Natur im Allgäu und die wollen wir bewahren. Davon leben wir, deshalb kommen die Besucher.“ Den Gästen sei es wichtig, dass sich ein Hotel so ökologisch wie möglich verhalte, also regionale Produkte verwende und nachhaltige Services anbiete. Die Zeiten des „Nach-mir-die-Sintflut-Tourismus“ seien vorbei.

„Wir wollen ein glasklares Bekenntnis zum Klimaschutz abgeben.“

Michael Schuster, Geschäftsführer Liebherr-Verzahntechnik GmbH

Auf hohem Niveau

Diese Aufbruchsstimmung findet Martin Sambale bei all seinen Bündnispartnern. „Die Unternehmen, die in unser Bündnis kommen, sind schon auf einem sehr guten Niveau“, sagt er. Und mit dem „Ja zur Klimaneutralität“ unterstreichen die Partner ihren Willen zum Handeln noch einmal. Doch was, wenn der Wille allein nicht ausreicht, um klimaneutral zu werden? Wenn Emissionen unvermeidlich sind – oder die Belegschaft einfach nicht mitziehen will? Stichwort: individuelle Mobilität auf dem Weg zur Arbeit? Dann, sagt Martin Sambale, „werden die nicht zu vermeidenden Restemissionen durch die Förderung von Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern kompensiert.“ „Es ergibt ja keinen Sinn“, unterstreicht Bürgermeister Kiechle, „mit seinem Geld die letzten Emissionen auszugleichen und seinen Betrieb auszuquetschen wie eine Zitrone.“ Viel sinnvoller sei es, das Geld dort zu investieren, wo mit derselben Summe viel größere Einsparungen zu erzielen seien. Und so können sich die Bündnispartner finanziell an Projekten in Tansania oder Ruanda beteiligen und den Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglichen, indem dort Wälder erhalten bleiben und nicht zum Abkochen von Trinkwasser abgeholzt werden.

Oder den Aufbau von Wasserkraft und Photovoltaik in Indien unterstützen und dabei helfen, Kohlestrom zu substituieren. „Die Projekte, in die die Kompensationszahlungen der Bündnispartner fließen, erfüllen den Goldstandard“, betont Sambale. Gleichzeitig wird deutlich, dass auch ein lokales Bündnis mehr erreichen kann, als die Energiewende vor der eigenen Haustür voranzutreiben. Es geht um mehr – schließlich ist auch die Thematik global. Wichtig ist den Partnern im Bündnis aber auch die regionale Komponente – für jede Tonne CO2, die kompensiert wird, werden vier Euro zusätzlich in den Allgäuer Klimafonds eingezahlt, aus dem Allgäuer Klimaschutzprojekte finanziert werden. Das Konzept hat auch die Manager der Liebherr-Verzahntechnik GmbH überzeugt. „Wir wollen ein glasklares Bekenntnis zum Klimaschutz abgeben“, sagt Geschäftsführer Michael Schuster. Der Maschinenbauer mit Sitz in Kempten beliefert Partner in aller Welt mit Werkzeugmaschinen und Automationssystemen. Nicht immer einfach für ein Unternehmen dieser Größenordnung, den eigenen ökologischen Fußabdruck im Auge zu behalten.

Zweites Bündnis für Privatperson geplant

Einer der Liebherr-Grundwerte lautet: Wir tragen Verantwortung“, sagt Schuster. Und das soll genauso sichtbar sein wie der markante Firmensitz. 100 Meter breit, 150 Meter lang und 19 Meter hoch ist die gewaltige Fertigungshalle, die 2011 in Kempten in Betrieb genommen wurde. Im Jahr 2030 soll sie klimaneutral sein. Der Weg dorthin, die einzelnen Stellschrauben, ist noch nicht definiert: Die Liebherr-Verzahntechnik GmbH ist erst seit Ende Februar Bündnispartner und steckt noch in der Phase des Auftakt-Audits. Das Ziel der Nullemissionen, so Schuster, sei ein ganz wichtiger Baustein in der Wahrnehmung unserer gesellschaftlichen Verantwortung – aber auch der regionalen Verantwortung. „Im Bündnis klimaneutrales Allgäu sehen wir eine starke Gemeinschaft, in der wir Allgäuer uns gegenseitig auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft unterstützen.“

Die Gemeinschaft könnte auf Sicht noch deutlich größer werden, denn bald schon können sich auch Privatpersonen zur Klimaneutralität bekennen. Ein zweites Bündnis soll entstehen, an dem jeder Allgäuer partizipieren kann. Ähnliches Konzept, gleiches Ziel. „Wir arbeiten an der Umsetzung“, sagt Sambale. Und wenn der Enthusiasmus der Allgäuer ähnlich ausgeprägt ist wie der der Allgäuer Unternehmen, könnte es tatsächlich funktionieren. Dann könnte das Allgäu 2030 zur ersten klimaneutralen Region Deutschlands geworden sein. Und der Bundespolitik dann den Weg dorthin haargenau erklären.

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