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Der eigene Power-Hof

Nach dem Ende der EEG-Umlage suchen Landwirte nach Verwendungsmöglichkeiten für ihren Strom. Eine Lösung könnte sein: der eigene Hof. Etwa mit Hilfe von Hybridtraktoren.

Breites Verständnis war nun nicht die häufigste Reaktion, die Josef Eldracher entgegenschlug, als er von seinen Plänen erzählte. Von seinen Überlegungen, eine Solaranlage auf das Dach seines Stalls zu bauen. Von seiner Vision, mit der Kraft der Sonne Geld zu verdienen. Eldracher hat es trotzdem gemacht. Das breite Verständnis kam dann parallel zum Geld, das Eldracher verdiente. Gutes Geld.
SonnenGeld. Ein kleiner, in der Summe aber relevanter Betrag für jede Kilowattstunde Strom, die er ins AllgäuNetz einspeiste. 16 Jahre ist das nun her und inzwischen sind Solaranlagen auf den Dächern des Allgäus so verbreitet und selbstverständlich wie die braunen Kühe auf den grünen Weiden. Josef Eldracher trägt ein grün-weiß kariertes Hemd, eine moderne Brille und eine Uhr aus
der Manufaktur Holzkern. Er sitzt in der Stube des Eldracher-Hofs, den sein Urgroßvater 1897 kaufte und der nun seiner ist, die kräftigen Hände auf dem hellen Holztisch gefaltet. „Ich war immer schon offen für Neues“, sagt er – ein Understatement. Der Biobauer, Gartenbauunternehmer und Photovoltaikpionier ist ein Mann, der sich eine eigene Meinung leistet. Auch wenn er damit allein steht.

Er informiert sich, er denkt nach, und dann trifft er seine Entscheidung. Nach dem Ende der EEG-Umlage suchen Landwirte nach Verwendungsmöglichkeiten für ihren Strom. Eine Lösung könnte sein: der eigene Hof. Etwa mit Hilfe von Hybridtraktoren. junge Technologie der Photovoltaik und traf dann eine Entscheidung. Der junge Familienvater nahm ein Darlehen auf, kaufte eine Anlage – und schlief fortan schlecht. „Ich hatte zunächst regelrecht Albträume ob der Schulden“, schmunzelt
er. Die unruhigen Nächte wurden seltener, als die ersten Abrechnungen eintrudelten und klar war: Das Investment hat sich gelohnt. Trotz Tilgung blieb in jedem Jahr etwas hängen. Immer schneller wuchs und prosperierte die Solarbranche. Knapp 1.500 landwirtschaftliche Betriebe im Versorgungsgebiet von AÜW haben heute eine Photovoltaikanlage. Doch die goldenen Zeiten der glänzenden Dächer sind langsam, aber sicher vorbei. „Ab dem Jahr 2021 fallen die ersten Anlagen sukzessive aus der EEG-Förderung und spätestens 2030 wird es für etwa die Hälfte dieser Anlagen
keine Einspeisevergütung mehr geben“, sagt Christian Ziegler, Leiter Energielösungen von Allgäuer Überlandwerk.

„In Zukunft werde ich auf dem freien Markt etwa 3 Cent/kWh bekommen“, befürchtet auch Eldracher. Die EEG-Förderung für seine Anlage – die erste Anlage arbeitet seit 2003 – läuft im Jahr 2023 aus. Eine ordentliche finanzielle Einbuße droht. Mit seinen inzwischen drei Solaranlagen produziert er insgesamt etwa 50 Kilowattstunden Strom, einen Großteil davon speist er ein. Was soll Eldracher, was sollen Landwirte in seiner Situation tun? Das Problem ist AÜW bekannt. Es gilt, fasst Ziegler die Aufgabe zusammen, für diese Kunden eine gute Anschlusslösung zu finden. Nur welche?
An der Ausgestaltung möglicher Lösungen forscht seit rund drei Jahren ein Konsortium namens 3connect, das unter anderem vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird und dem auch AÜW angehört.

Ziel der Zusammenarbeit: Es sollen „nachhaltige und intelligente elektromobile Verkehrsanwendungen (Smart Traffic) und die Integration der Elektromobilität in das intelligente Stromnetz der Zukunft (Smart Grid) mittels Informations- und Kommunikationstechnologie erforscht, entwickelt und erprobt“ werden, schreibt das Konsortium etwas hölzern auf seiner Homepage. Im Klartext: Die Erzeuger des Stroms sollen Lösungen an die Hand bekommen und ihre Energie künftig nach Möglichkeit selbst verbrauchen. Aber gibt es in der Landwirtschaft Bedarf an derart viel Energie? Und wie passt die Elektromobilität in dieses Bild? Einen möglichen Ansatz hat John Deere – auch Mitglied des 3connect-Konsortiums – entwickelt. Der US-amerikanische Landmaschinenhersteller hat einen Hybridtraktor gebaut. Im Moment gibt es ihn nur als Prototyp: ein 210 PS starker Dieselmotor, dazu kommen noch einmal 20 kW Elektropower aus dem E-Motor, der auch als Generator eingesetzt wird. Die elektrische Zusatzkraft wirkt direkt auf das Getriebe und unterstützt den Motor. Ein rein elektrischer Betrieb ist nicht vorgesehen. Josef Eldracher wurde auserkoren, um den Traktor im Alltagsbetrieb zu testen. Eine gewisse Zeitspanne sollte der ausgewiesene John-DeereFan mit dem neuen Schlepper arbeiten und seine Erfahrungen sammeln. „Das war schon spannend im Vorfeld“, erinnert er sich. Würde der Hybridtraktor funktionieren? Eldracher braucht seine Schlepper, um Futter einzufahren und Gülle auszubringen. Beide Arbeiten sind eine Herausforderung an die Zugkraft der Maschinen, zumal die Wege im Allgäu weit und alles andere als eben sind.

Würde ein Hybrid das packen? Funktioniert die Technik? An einem warmen Spätsommertag im September 2018 stand er dann tatsächlich auf dem Eldracher-Hof. In Grün und Gelb lackiert, glich er seinen Verbrenner-Brüdern wie ein Ei dem anderen. Der offensichtlichste Unterschied: Der Stromer trägt einen gewaltigen, 1,2 Tonnen schweren Akku in der Front-Hitch. Die erste Ausfahrt absolvierte Eldracher mit einigen Ingenieuren von John Deere. Die Fachleute, die den Traktor gebaut hatten, sollten die Steuerung überwachen und den Landwirt mit dem System vertraut machen.

Der Schlepper hatte bis dato nur Tests auf Prüfständen und Fahrten auf Testgelände absolviert, die Fahrt war also die erste echte Bewährung unter realen Einsatzbedingungen. „Es ging sieben Kilometer nur bergauf“, erinnert sich Eldracher. Eine ordentliche Belastungsprobe. „Wir hatten zwölf Kubikmeter Gülle im Anhänger, insgesamt also 18 Tonnen zu ziehen.“ Eine anspruchsvolle Aufgabe für das Batterie-Management-System (BMS). „Auf dem Hinweg war die Steuerung von den gewaltigen Kräften überfordert.“ Gott sei Dank waren die Fachleute an Bord. Die Ingenieure passten die Steuerung an, die erste Aufgabe konnte erfolgreich beendet werden. Auf dem Rückweg, als der Schlepper bergab fuhr und der Elektromotor wie ein Generator funktionierte, speiste er über den Schub so viel Energie ein, dass die Steuerung erneut angepasst werden musste. Kinderkrankheiten, wie sie in jedem Projekt anfangs vorkommen.

„Als der Schlepper richtig eingestellt war,
war das eine feine Sache“

Josef Eldracher
Biobauer und Testfahrer

Der hohe Wirkungsgrad der Rekuperation sei schon sehr beeindruckend. Doch eine umfassende Lösung für die ursprüngliche Problemstellung, nämlich: wohin mit dem Sonnenstrom, scheint sich damit nicht abzuzeichnen. Zumindest noch nicht. Größere Batteriekapazitäten und Wechselbatterien, vollelektrische Antriebskonzepte, aber auch die Kombination mit anderen elektrischen Verbrauchern können zukünftig das Maß an Eigenverbrauch der solaren Energie erheblich erhöhen. Eldracher betrachtet die Dinge in einem größeren Zusammenhang. „Elektromobilität in der Landwirtschaft wird kommen“, ist er sich sicher. Er sieht Potenzial bei elektrischen Arbeitsgeräten im Stall: dem Futterautomat, dem Spaltenschieber, dem Melkroboter. Eldracher setzt auf Automatisierung, seit er den neuen Stall in Betrieb genommen hat. Vier Jahre zuvor, im Jahr 2009, war Eldracher in die Biolandwirtschaft eingestiegen. Moment: Bio und Automatisierung? Passt das zusammen? Und wie! Heute laufen 70 Kühe und 40 Jungtiere durch den Stall. Jedes Tier geht hin, wo es möchte. Sie gehen selbst zum Melkroboter – er heißt Paul –, die Kühe entscheiden, wann sie auf die Weide vor dem Stall spazieren oder sich in die Schlafboxen legen. Grundvoraussetzung: ein verlässliches und intelligentes elektrisches Versorgungssystem. Nur wenn der Spaltenschieber, der sich wie ein Roboterstaubsauger im Haushalt autark auf den Weg macht, verlässlich funktioniert, ist der Spaltenboden im Stall sauber und die Tiere haben trockene – und damit gesunde – Klauen. Also Sonne vom Dach für die elektrischen Geräte im Stall, für das eigene E-Auto und den Hybridtraktor. Und die Einsparung? Bei vollem Einsatz des Generators, so Eldracher, lassen sich bis zu 15 Prozent des Dieselverbrauchs einsparen. Und das Image? Wie haben die Nachbarn reagiert, als sie ihn mit dem Schlepper gesehen haben? Sie waren, sagt Eldracher und schmunzelt, nach anfänglicher Zurückhaltung schon bald ziemlich interessiert.

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