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Das Allgäu gibt – Wasser – Stoff

Weitaus mehr als nur Zukunftsmusik: AÜW, AKW und ZAK Kempten bringen mit der innovativen Wasserstofftechnik bei Bussen und Lkws die Energiewende auf den Weg.

Als im August 1888 Bertha Benz mit dem Patent-Motorwagen ihres Mannes Carl die erste Autofahrt von Mannheim nach Pforzheim unternahm, passierte der Pionierin der Mobilitätsbranche ein Malheur: Ihr ging das Benzin aus. Tankstellen? Gab es nicht. Erst die Stadtapotheke in Wiesloch konnte helfen – und ihr ein Fläschchen Treibstoff verkaufen.

Niemand in ganz Deutschland hätte sich damals vorstellen können, dass Jahrzehnte später unser Land von einem dichten Tankstellennetz überzogen sein würde. Ähnlich ungläubig waren die Reaktionen, als AllgäuStrom 2009 begann, die Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge aufzubauen. Heute, nur einige Jahre später, sind es bereits über 90 Ladepunkte im Allgäu. Man sieht: Innovationen überraschen die Menschen oft mit ihrer schnellen Entwicklung. So könnte es bis in fünf Jahren in unserer Heimat bereits Wasserstoff-Tankstellen geben.

Energie aus „überschüssigem“ Strom

Die Allgäuer Überlandwerke, der Zweckverband für Abfallwirtschaft Kempten (ZAK) und die Allgäuer Kraftwerke in Sonthofen planen, im gemeinsamen Unternehmen Bio- EnergieAllgäu (BEA) CO2-neutralen Wasserstoff herzustellen. Diesen könnten dann Speditionen, Baufirmen und der öffentliche Nahverkehr für ihre Schwerlastfahrzeuge nutzen. Vereinfacht gesagt: Statt Diesel tanken sie dann Wasserstoff. Der Clou: Die Energie dafür stammt überwiegend aus „überschüssigem“ Strom, der im Allgäu produziert und in Form von Wasserstoff gespeichert werden kann. Die Nutzung von Wasserstoff gilt neben der Elektromobilität als eine der Technologien, mit deren Hilfe wir die Energieziele erreichen können.

Wasserstoff entsteht im Elektrolyseverfahren: In einem sogenannten Elektrolyseur wird Wasser mithilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Der dabei gewonnene Wasserstoff ist pure Energie zum Antrieb von Fahrzeugen – statt Benzin oder Diesel. Das Besondere daran: Beim Verbrennen des Treibstoffs entsteht null Schwefelwasserstoff, null Kohlenmonoxid und null Kohlendioxid. Sondern nur Wasserdampf. Unterm Strich also eine saubere, klimaneutrale Energiequelle.

„Wasserstoff stellt einen wichtigen Hoffnungsträger im Zeichen der Energiewende dar.“

Thomas Kiechle, Oberbürgermeister der Stadt Kempten

Beitrag zur Netzstabilität

Schnurs Job und der seiner Mitarbeiter ist es, immer genügend Strom für die Kunden des AÜW und der AllgäuStrom Partner bereitzustellen. Bei Bedarf wird entweder fremder Strom am Großhandelsmarkt eingekauft – oder der im Allgäu erzeugte überschüssige Strom profitabel in Deutschland verkauft. Das geht heutzutage durch permanentes Nachjustieren und Optimieren im Intradayhandel mithilfe von Software.
Hier kommt das sogenannte virtuelle Kraftwerk ins Spiel. Schnur erklärt: „Von den 90.000 Zählpunkten des AÜW gibt es einige, die man aktiv steuern kann – und das oft schon innerhalb einer Viertelstunde –, um so das momentan hohe Preisniveau zu nutzen.“

Ein Beispiel: An einem Speicherkraftwerk am Fellhorn kann man den Zeitpunkt der Stromerzeugung aktiv verschieben. Solange hohe Wind- und PV-Erzeugung für niedrige Strompreise sorgt, wird das Wasser den Berg hinauf ins Oberbecken gepumpt und gespeichert. In den Abendstunden dagegen herrscht eine hohe Stromnachfrage, die steigende Preise verursacht: „Nun kann man genau zu diesem Zeitpunkt das Wasser durch die Turbinen ablassen und Strom erzeugen.“ Ähnlich verhält es sich bei der Großbatterie des Hybridkraftwerks in Sulzberg. „Das Schöne ist, dass man mit diesen Maßnahmen auch zur Netzstabilität in ganz Europa beiträgt, da hohe Preise immer mit hohem Bedarf und mit einer geringen verfügbaren Erzeugung einhergehen“, sagt Schnur.

„Es ist mein Ziel, das Thema Wasserstoff im Oberallgäu voranzubringen.“

Indra Baier-Müller, Landrätin Kreis Oberallgäu

Gute Preise für Solarstrom

Das Wasserstoffprojekt wäre ein weiterer Baustein des virtuellen Kraftwerks: Es bietet Speichermöglichkeit von Energie – nur halt in Form von Treibstoff für den Schwerlastverkehr. Erst durch die Integration in das virtuelle Kraftwerk wird die Wasserstoffproduktion ein sinnvolles Element für die Energiewende.
Auch die rund 9.000 Allgäuer Privathaushalte mit Photovoltaik-Anlage auf dem Dach würden profitieren. „In den kommenden Jahren fallen immer mehr Anlagenbetreiber aus der EEG-Förderung heraus“, sagt AÜW-Geschäftsführer Michael Lucke. „Die Besitzer könnten nicht zuletzt dank des Wasserstoffprojekts weiterhin gute Preise für ihren Strom bekommen, den sie für Elektrolyse zur Verfügung stellen.“

Doch warum das Ganze? Die Zukunft auf der Straße, so lesen wir doch täglich in der Zeitung, liege in der Elektromobilität. „Wir haben eine besondere Situation im Allgäu“, sagt Lucke. Es gebe viele regenerative Stromerzeuger. Und das Allgäu ist eine ländliche Region mit weiten Distanzen und Höhenunterschieden: Für private E-Autos ist der Weg zur Arbeit und zurück kein Problem. Nicht so für einen Bus, der mehrmals täglich nach Oberstdorf oder Füssen und zurück fährt. „Für Speditionen, den öffentlichen Nahverkehr und Logistiker ist Wasserstoff eine hochinteressante Alternative“, ergänzt Dr. Hubert Lechner, Geschäftsführer der Allgäuer Kraftwerke Sonthofen.

Bei uns längst schon im Einsatz

Es besteht kein Zweifel, dass Otto- oder Dieselmotoren im 21. Jahrhundert „Auslaufmodelle“ sind. Elektrofahrzeuge sind sicherlich ein Teil der Mobilitätszukunft. Dr. Lechner weiter: „Aber derzeit gibt es nicht‚ die eine Lösung‘. Deshalb sind wir auf verschiedenen Spielwiesen unterwegs.“ Nach den BEA-Plänen werden im Lauf der kommenden fünf Jahre Tankstellen in Kempten, Lindau und eine im Oberallgäu eingerichtet. Den Wasserstoff transportiert man in Tanklastern zu den Busunternehmen. „Schließlich können die Busse ja nicht jeden Morgen zum Tanken nach Kempten“, sagt Lumer.
Wasserstofffahrzeuge sind in unseren Breiten auch schon längst im Einsatz: In Wuppertal fahren bereits zehn Linienbusse von Hyundai. Dieser koreanische Fahrzeughersteller wird die Schweiz über einen Förderverein bis 2023 mit stolzen tausend 18-Tonnern versorgen. Auch Mercedes und MAN arbeiten unter Hochdruck an marktfähigen Modellen.
Doch was für das BEA-Projekt im Allgäu noch fehlt: die Abnehmerschaft, die diese Fahrzeuge kauft. Laut AÜW-Geschäftsführer Lucke ist man bereits mit mehreren Logistikern im Gespräch. Denn es steht fest: Viele Allgäuer Fuhrparkbetreiber müssen ihre Busse und Lkws definitiv in den kommenden Jahren umstellen. Eine EU-Richtlinie gibt vor, dass bis 2030 bereits 50 Prozent aller öffentlichen Fahrzeuge oder solcher im öffentlichen Auftrag – wie etwa Müllabfuhr – emissionsfrei fahren sollen. Aber klar ist: Das kostet alles sehr viel Geld. Damit Wasserstoff-Busse und -Lkws zwischen Grünten und Bodensee fahren können, ist staatliche Unterstützung nötig. Lumer von ZAK rechnet vor: etwa 11,5 Millionen Euro für Elektrolyseur, Drucklagerung und Tankstellen, eine weitere Million Euro, um auf drei Megawatt aufzurüsten. Auch die Flottenbetreiber benötigen Zuschüsse – ein Brennstoffzellen- Bus oder -Lkw kostet mit etwa 600.000 Euro doppelt so viel wie ein Diesel. „Für das unternehmerische Risiko bräuchten alle Beteiligten rund 80 Prozent Förderung“, sagt Lumer.

Das Wasserstoff-Förderprogramm „Hy-Expert“, für das die Stadt Kempten und das Oberallgäu im Dezember 2019 den Zuschlag erhielten, prüft nun den Absatzmarkt. Gespräche mit der Politik sind im Gange, darunter mit Entwicklungsminister Gerd Müller.
Und auch in der Region bewegt sich einiges: „Der Landkreis Oberallgäu ist stark interessiert an erneuerbaren Energien und alternativen Konzepten zur Mobilität. Bei BEA handelt es sich um ein interessantes Projekt, das der Landkreis unterstützt und begrüßt“, sagt Indra Baier-Müller. Es sei auch ihr Ziel, so die Landrätin vom Kreis Oberallgäu, das Thema Wasserstoff im Oberallgäu voranzubringen. In Sachen Fördermöglichkeiten werde sie sich gerne unterstützend einsetzen.
Ebenso sendet die Stadt Kempten positive Signale: „Wasserstoff stellt einen wichtigen Hoffnungsträger im Zeichen der Energiewende und zum Erreichen der Klimaschutzziele dar“, so Oberbürgermeister Thomas Kiechle. Vorausgesetzt, er werde mit Einsatz von Ökostrom erzeugt. „Es ist mir wichtig, dieses Potenzial in Kempten und dem Allgäu zu identifizieren und im Sinne der CO2-Reduktion auch umzusetzen“, bekräftigt das Stadtoberhaupt.
Die Zeichen für ein emissionsfreies Allgäu stehen also – mit etwas Optimismus – gut. Und die Realisierung dieser Pläne bedeutet für die BEA-Köpfe weitaus mehr als nur harte Arbeit: „Wir verstehen uns als Motor der Energiewende und als Vorreiter der Region Allgäu“, sagt AÜW-Geschäftsführer Lucke. „Auch weil es uns Spaß macht, Innovationen mit auf den Weg zu bringen.“

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