Von der Börse auf den Berg
Kalt, windstil, klar: Die Wetterprognose für die nächsten Tage verspricht optimale Bedingungen für die Oberstdorf Kleinwalsertal Bergbahnen und damit den gesamten Allgäuer Tourismus. Denn Jetzt kann zu bestmöglichen Beringungen beschneit werden. 450 Schneeerzeuger sollen auf 130 Pistenkilometern vom Nebenlhorn über den Heuberg bis zum Ifen anlaufen: Schnellstmöglich und mit maximaler Leistung verarbeite sie Wasser und Luft zu feinstem, maschinell gefertigtem Neuschnee.
Zum Skispaß gehört heute die künstliche Beschneiung. Den Strom dafür – aber auch für alle anderen Verbraucher – besorgen Händler an speziellen Börsen. Sie müssen extrem schnell sein und ebenso präzise in ihren Prognosen. Zu Besuch bei Profis unter Strom.
Geplant wird per App
Und da sich diese Bedingungen rasch verändern, muss manchmal sehr schnell reagiert werden“, sagt Dominik Scholz, der bei den Bergbahnen für das Management der Beschneiungsprognose verantwortlich ist. Täglich, oft sogar mehrmals am Tag, schicken ihm die Beschneimeister am Berg ihre Bedarfsprognosen – via App von den Außenanlagen direkt auf sein Handy. Bunte Zahlen flackern auf dem Display, die Strombestellungen von Fellhornbahn bis Söllereck. Der 27-Jährige sieht nun genau, mit welcher Leistung seine Kolleginnen und Kollegen in den nächsten Stunden und Tagen beschneien wollen und wie viel Energie – übrigens ausschließlich Ökostrom – sie dafür voraussichtlich benötigen. „Ich sammle die Daten, prüfe sie auf Plausibilität und Vollständigkeit und leite sie dann über die App direkt weiter an das Allgäuer Überlandwerk (AÜW)“, sagt Scholz. „Ohne die akkurate Arbeit der Kollegen am Berg wäre das nicht möglich.“ An manchen Tagen kann der Job stressig werden, räumt er ein, für alle Beteiligten. Gerade bei Grenztemperaturen, wenn eine Beschneiung also gerade so möglich wird, müssen Scholz und seine Kollegen sich mehrmals täglich miteinander abstimmen, wie es in den kommenden Stunden am Berg weitergeht.
Die Grundbeschneiung muss in diesem noch jungen Winter gesichert werden, damit Skibegeisterte schon zum Saisonsstart im Dezember möglichst viele weiße Hänge vorfinden. Hoteliers, Restaurants und Skischulen in der Region gibt das wichtige Planungssicherheit. „Unsere Schneeerzeuger können jedoch nur bei passenden Temperatur-, Luftfeuchtigkeits- und Windverhältnissen gut Schnee produzieren. Die Nutzeroberfläche der App haben die Oberstdorf Kleinwalsertal Bergbahnen eigens mit dem AÜW entwickelt. Insbesondere deshalb, weil die Bergbahnen mit ihrem stark schwankenden Stromverbrauch für den Energieversorger gerade in den Wintermonaten ein besonderer Kunde sind. Da kann der Bedarf durch die Beschneiungsanlagen manchmal so gewaltig sein, dass er mit 15 Megawatt pro Viertelstunde ein Fünftel der gesamten bereitgestellten Strommenge des AÜW ausmacht. Ein Umstand, den auf der Seite des Versorgers Katja Zitt managt. Im Team Energiehandel ist sie heute für die Tagesprognosen verantwortlich und verarbeitet die Vorhersagen der Bergbahnen. Dafür kauft sie zusätzlichen Strom an den Kurzfristmärkten ein, im Fachjargon Spotmärkte genannt.
„Manchmal müssen wir schnell reagieren.“
Dominik Scholz, Oberstdorf Kleinwalsertal Bergbahnen
Präzise Energieprognosen
Über das sogenannte virtuelle Kraftwerk, ein System zur Überwachung und Steuerung von Anlagen, sieht die Wirtschaftsmathematikerin auch den tatsächlichen Verbrauch der Schneeerzeuger, kann diese Werte mit den Prognosen vergleichen und bei Abweichung reagieren. Denn die produzierte und eingekaufte Strommenge muss im Einklang stehen mit der tatsächlichen Abnahme der Kunden. Energieversorger müssen für jeden Tag des Jahres für jede Viertelstunde genau prognostizieren, wie viel Strom – beispielsweise mit den Photovoltaikanlagen oder im Wasserkraftwerk – produziert und welche Menge von den Kunden verbraucht wird. Die Differenz gleicht Katja Zitt über Zu- und Verkäufe von Strom aus. Auch über das virtuelle Kraftwerk kann das AÜW laufend selbst nachjustieren, indem zum Beispiel volle Batteriespeicher oder das Wasserkraftwerk am Fellhorn angezapft werden. „Sind unsere Prognosen schlecht und stimmen sie nicht mit dem tatsächlichen Wert überein, muss das AÜW Strafzahlungen leisten“, erklärt Katja Zitt, „sogenannte Ausgleichsenergiekosten.“ Das Problem: Wie die Strompreise selbst sind auch die Preise für die Ausgleichsenergie im Zuge der jüngsten Energiekrise deutlich gestiegen. Für die Mathematikerin heißt das: Ihre Vorhersagen müssen immer präziser werden. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die der 31-Jährigen liegt. „Wenn ich mit meinen Prognosen richtigliege, habe ich einen guten Job gemacht – das ist ein gutes Gefühl.“
Die siebenköpfige Abteilung Energiehandel arbeitet auch für andere AllgäuStrom-Partner und hat nicht nur den Stromverbrauch ihrer Kunden in 15 Minuten oder den nächsten Tagen im Blick. An den sogenannten Terminmärkten werden Strommengen bis zu drei Jahre im Voraus gehandelt. Das verschafft Planungssicherheit, die zum Beispiel für Großabnehmer aus der Industrie wichtig ist. Gerade weil die Energiepreise in den vergangenen Jahren so kräftig gestiegen sind, haben viele Unternehmen Absicherungsbedarf. „Weiß ein Kunde schon heute, dass er aufgrund guter Auftragslage auch in den kommenden ein, zwei Jahren unter hoher Auslastung produzieren wird, will er sich dafür einen guten Strompreis sichern“, sagt Madeleine Dörr, die als Marktverantwortliche an den Großhandelsmärkten Strom auf Termin kauft und verkauft. Dafür behält sie laufend die Strom- und entsprechenden Rohstoffmärkte im Blick und analysiert die Ursachen für die Preisentwicklung an den Märkten. Das können Veränderungen im Gas- und Kohlemarkt sein, aber auch das Wetter. Den Großteil des erwarteten Verbrauchs kauft das Team möglichst langfristig, „bis zu drei Jahre im Voraus“, so Madeleine Dörr.
Handel in Sekundenschnelle
Will ein Firmenkunde Strom kaufen, kommuniziert die 25-Jährige mit den Kollegen aus dem Vertrieb oder dem Kunden direkt und gibt die aktuellen Preise weiter. Die gelten oft nur für wenige Minuten, in dieser Zeit muss sich der Kunde entscheiden, ob er das Angebot annimmt oder nicht. Denn auch an den Terminmärkten schwanken die Preise mitunter kräftig. „Wichtig ist, dass die Verhandlung am Telefon oder via Chat perfekt funktioniert“, sagt Madeleine Dörr. „Denn binnen Sekunden entscheidet man nicht selten über einen Umsatz von über einer Million Euro.“ Die studierte Betriebswirtin weiß zu jeder Tageszeit, welcher Händler in der Lage ist, zu welchen Preisen am jeweiligen Tag zu verkaufen. „Nur dann kann man dem Kunden verbindlich ein gutes Angebot machen und sicher sein, das auch einkaufen zu können“, so die Expertin.
So ist die Herausforderung für den Marktverantwortlichen im Team Energiehandel im Zuge der Energiekrise am stärksten gestiegen. Zeitweise kletterten die Preise um das Zwanzigfache und schwankten zehnmal so stark wie vor der Krise. Was sich an den Börsen früher in einem Jahr ereignet hat, war plötzlich an einem Tag oder in einigen Stunden zu beobachten. Trotzdem muss das Team Energiehandel weiter funktionieren – und bei jedem größeren Stromverkauf an einen Kunden muss Dörr die veräußerte Strommenge innerhalb von Sekunden wieder selbst beschaffen. Steigt in der Zwischenzeit der Einkaufspreis, drohen enorme Verluste.
Wachsame Händler
Inzwischen sind die Preise zwar wieder deutlich gesunken und schwanken auch weniger. „Aber wir befinden uns noch immer nicht auf Vorkrisenniveau“, sagt Sebastian Schnur, Leiter des Teams Energiehandel (siehe auch Interview rechts). Der 41-Jährige erinnert sich noch gut, als schon im Herbst 2021 die Preise an den Börsen plötzlich zu steigen begannen – von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine war man da nachrichtlich noch weit entfernt. Zu der Zeit begann das Team seine Arbeitsweise enger zu verzahnen. Abstimmungen fanden in kürzeren Abständen statt und von nun an widmete man sich mit einer noch ¬höheren Konzentration dem Auf und Ab der Märkte. Das hat sich ausgezahlt.
Das AÜW schaffte es, relativ unbeschadet durch die beispiellose Krise zu manövrieren, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind: „Die Märkte reagieren noch immer nervös auf jede Nachricht, die auf eine Verknappung des Angebots hindeutet“, sagt Sebastian Schnur. Deshalb hat sich das Team Energiehandel auf die Fahnen geschrieben, auch in Zukunft wachsam zu sein. Das gilt mit Blick auf die anstehenden Monate auch für Dominik Scholz und seine Kollegen am Berg. Zwar geht die Skisaison bis Anfang Mai. Beschneit wird aber immer nur so viel und so lange wie nötig, um den Wintersportfans optimale Bedingungen garantieren zu können.